Der Kampf der politischen Talente um Aufmerksamkeit
Du bist jung, ambitioniert und willst in die Politik? Dann vergiss die alten Parteizentralen! Dein Schlachtfeld ist heute das Smartphone, deine Waffe das Reel, dein Publikum unendlich groß. Gerade für Nachwuchspolitiker ist der Druck immens, sich in der ohrenbetäubenden Kakophonie der sozialen Medien Gehör zu verschaffen. Ein provokanter Post, ein vermeintlich witziges Video – das kann der Durchbruch sein oder das jähe Ende einer vielversprechenden Karriere. Wer heute etwas bewegen will, kommt um das Spiel mit der Aufmerksamkeitsökonomie in den sozialen Medien einfach nicht herum.
Ich habe im Bundestagswahlkampf Falk Fiebig in Nordsachsen unterstützt. Gleich mit einem seiner ersten Reels ging es ab. Es ging über die Böttcher AG und seine Beendigung des Geschäftsverhältnisses, weil dort jemand große Summen an die AfD spendete. Hochaktuelles Thema, persönliche Betroffenheit und authentischer Typ. Das waren unsere Grundzutaten und brachte viele Views, und fast 200 Kommentare. Nicht jeder davon ein Lob. Wer sich öffentlich gegen die AfD stellt, kommt um den Gegenwind nicht herum.
Denn dass muss man anerkennen, die AfD und ihre Follower dominieren dieses Spiel. Vor allem weil sie auf kontroverse und populistische Inhalte setzen. Das ist keine Panne, das ist System. Und in diesem System wird jeder, der nicht aufpasst, zum nächsten Opfer.
Der „ACAB“-Eklat von Jette
Am 27. Mai 2025 schockte Jette Nietzard (mal wieder) mit einem Instagram-Selfie: Sie trug einen Pullover mit dem Kürzel „ACAB“ – „All Cops Are Bastards“. Ein klarer Affront gegen die Polizei, ein Statement aus dem linken Milieu. Nietzard verteidigte sich: Es sei Kritik an „strukturellen Problemen“ und „rassistischen Tendenzen“. Sie habe nicht alle Polizisten gemeint. Klar, wer glaubt das noch? Schon im November 2024 fragte sie auf TikTok provokant: „Was machen Bullen beruflich?“
Die Reaktion? Ein Sturm der Empörung. Selbst Grüne-Spitzenpolitiker forderten ihren Rücktritt. Doch Nietzard blieb stur, keine Entschuldigung, kein Rücktritt. Ein Zeichen von Naivität oder doch nur kalkulierte Provokation?
Nietzard selbst sah die Reaktion der Parteiführung als schädlicher an als ihren Post. Rechtlich mag ACAB als allgemeine Kritik durchgehen , politisch war es ein Eigentor. Es zeigt: die „Authentizitätsfalle“ schnappt zu. Was für die Jugendbewegung ein rebellisches Statement ist, wird für die etablierte Partei zum PR-Desaster.
Gaulands – „Deutschland den Deutschen“:
Der Slogan „Deutschland den Deutschen“ ist kein harmloser Spruch. Er ist ein direkter Gruß aus den dunkelsten Ecken der deutschen Geschichte, ein Schlachtruf von Neonazis und der NPD. Seine Verwendung kann strafrechtlich verfolgt werden.
Der Slogan ist untrennbar mit der AfD verbunden. Im Juni 2017 flog Alexander Gauland, AfD-Spitzenkandidat, auf: Eine geleakte WhatsApp-Konversation enthüllte seine Nutzung rechtsextremer Phrasen, darunter „Deutschland den Deutschen“. Die Partei verpasste ihm eine „offizielle Warnung“ – natürlich mussten die das. Das ist keine Inkompetenz, das ist eine eiskalte Strategie. Die AfD spielt mit dem Feuer, indem sie die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Sie bedient sich historisch belasteter Sprache, um Ressentiments zu schüren, die Wählerschaft anzuheizen und gleichzeitig eine plausible Leugnung aufrechtzuerhalten. Die „offizielle Warnung“ ist nur Theater, um den Anschein von Mäßigung zu wahren, während die radikale Botschaft ihre Wirkung entfaltet. Diese „Dog-Whistle“-Kommunikation untergräbt demokratische Normen und zwingt andere Parteien in eine Abwehrhaltung, die der AfD nur noch mehr Aufmerksamkeit verschafft.
Was die SPD vor diesem Hintergrund am 24.04.2024 geritten hat, diesen Post zu verschicken, werden sie nur selbst beantworten können. Die eigene Wählerschaft entsetzt, die AfD jubiliert, was doch an Sprache übernommen wird. Die perfekten Zutaten für einen veritablen Shitstorm, weswegen das ganze auch sehr schnell wieder gelöscht wurde.

Julia Klöckners Gratwanderung
Anfang Januar 2025 versuchte Julia Klöckner (CDU) das Unmögliche: AfD-Wähler zurückzugewinnen. Ihr Post: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU“. Die Botschaft war klar: Wir können das auch, nur demokratisch.

Der Schuss ging nach hinten los. Heftige Kritik zwang Klöckner zur Löschung. Die neue Version betonte plötzlich, die CDU stehe „gegen die, die unsere Demokratie in Frage stellen“. Zu spät. Die Kommentare sprachen Bände: „einmal die wahren Gedanken ausgerutscht“ oder „CDU – die demokratisch verpackte AfD!“. Die SPD warnte vor einer Koalitionsbelastung , und selbst aus der Union kam der Vorwurf, man spiele „mit dem Feuer“ und „normalisiere“ die AfD. Und die AfD? Nutzte das natürlich taktisch geschickt aus. Der Mythos, dass die Union die AfD nur kopiere war nicht nur geboren, sondern auch instant bestätigt. Eine volle Katastrophe.
Klöckner tadelt Nietzard
Nun hat Politik viel für Ironie übrig.
Klöckner wurde zu Präsidentin des Bundestags. Jette ist (stand heute) noch Vorsitzende der grünen Jugend. Und Klöckner empfiehlt den Grünen für Jette Nietzard den Entzug des Zugangsausweis für den Bundestag. Weiter wird sie im Spiegel.
Insbesondere in meiner Verantwortung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der Polizei beim Deutschen Bundestag, die ihren Dienst für unser Land und den Schutz der Demokratie versehen, trete ich der politischen Botschaft des Aufdrucks und der bewussten Provokation, die mit dem Post unter Bezugnahme auf den Deutschen Bundestag beabsichtigt war, auf das Schärfste entgegen.
Julia Klöckner
Politik hat wahrlich viel für Ironie übrig.
Da weiß ich gar nicht, wer mir nun sympathischer erscheint. Fr. Klöckner ist es schon mal definitiv nicht, wenn sie die AfD kopieren und anderen den Zugang zum Bundestag verwehren möchte.
Fr. Nietzard kann ich das ACAB noch eher verzeihen, bei ihr erkenne ich nicht so die abgrundtiefe Bösartigkeit, wie bei Fr. Klöckner.
Bei der SPD, weiß man ja nicht genau, wer diesen Status verschickt hat. Könnte da jemand unberechtigt Zugriff auf den Account gehabt haben?
Die SPD hat sich entschuldig für einen gleichlautenden Post, von daher ist das mit dem unberechtigtem Zugriff obsolet.
Zitat: Dabei haben wir es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnimmt.
https://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland-den-deutschen-die-demokratie-verteidigen-spd-entschuldigt-sich-fur-instagram-post-11714513.html