In Zeiten globaler Unsicherheiten sehnen sich viele nach politischer Harmonie, nach Beständigkeit oder Veränderungsverlangsamung. Doch diese Sehnsucht ist nicht nur unrealistisch, sondern gefährdet die Demokratie. Schauen wir doch mal, warum Streit, Debatte und Opposition das Lebenselixier einer lebendigen Demokratie sind und warum Friedrich Merz‘ Versprechen einer „konfliktfreien“ Regierung eine Illusion ist und wie die Behinderung parlamentarischer Kontrolle, wie im Fall der Spahn-Maskendeals, das Vertrauen untergräbt.
Streit: Das Fundament demokratischer Vitalität
Eine robuste Demokratie lebt von der Auseinandersetzung unterschiedlicher Ideen. Demokratische Prozesse regulieren den Wettbewerb widerstreitender Gruppen und lösen Konflikte friedlich.
Opposition ist entscheidend. Sie kritisieren und überwachen die Regierung und entwickeln politische Alternativen. Eine starke Opposition dient als Gewissen der Regierungsführung und Kontrolle gegen Machtmissbrauch.
Zwanghafte Eliminierung von Dissens führt zur Einstimmigkeit des Friedhofs Robert Jackson
Konflikt, konstruktiv gehandhabt, sichert die Qualität von Politik und Regierungsführung. Eine Regierung, die Streit minimiert, verzichtet auf diese Kontrolle, was zu weniger robusten Entscheidungen und mangelnder Transparenz führen kann.
Parteiflügel: Interne Debatten als Spiegel gesellschaftlicher Vielfalt
Auch Innerhalb politischer Parteien existieren oft verschiedene Strömungen oder Flügeln. Diese internen Differenzen sind ein Zeichen für die Vitalität einer Partei und ihre Fähigkeit, ein breites Spektrum gesellschaftlicher Ansichten abzubilden.
Ein Beispiel ist das „Friedens-Manifest“ in der SPD . Mehrere SPD-Politiker forderten eine Wiederannäherung an Russland und sprachen sich gegen militärische Aufrüstung aus. Dies steht im Kontrast zum Kurs der SPD-Parteiführung, die eine Stärkung der Bundeswehr befürwortet. Solche internen Debatten sind essenziell, da sie sicherstellen, dass unterschiedliche Perspektiven gehört und abgewogen werden, was die Politik im Endeffekt besser macht.
Merz‘ Versprechen einer „konfliktfreien“ Regierung
Friedrich Merz konzentriert sich als Kanzler auf die Stärkung Europas, der Verteidigungsfähigkeit und der Wirtschaft. Doch seine Botschaft einer konfliktfreien Regierung widerspricht den Grundprinzipien einer pluralistischen Demokratie. Eine Überbetonung von Einheit kann auf Kosten des notwendigen Streits gehen. Genauso sah dann auch die Besetzung seiner Regierungsmannschaft aus. Parteiinterne Kritiker hatten keine Chance.
Der Fall Spahn und die Maskenaffäre: Ein Prüfstein der Rechenschaftspflicht
Die Maskenaffäre um die Beschaffung von Schutzausrüstung während der Corona-Pandemie zeigt, wie parlamentarische Kontrolle auf die Probe gestellt wird und wie das Fehlen von Aufklärung das Vertrauen untergraben kann.
Dem damaligen Gesundheitsminister wird vorgeworfen, bei der Maskenbeschaffung Milliardenbeträge verschwendet zu haben. Es gibt Anschuldigungen, dass er das Unternehmen ohne Ausschreibung beauftragte, obwohl davor gewarnt wurde. Ein interner Untersuchungsbericht, der Spahn belasten soll, wird unter Verschluss gehalten. Spahn verteidigte sein Vorgehen , räumte aber ein, das „Open-House-Verfahren“ heute nicht mehr so durchzuführen.
Die Affäre hat das Vertrauen nicht nur in seine Person, sondern auch in die Politik massiv beschädigt. Spahn wird von Teilen der Öffentlichkeit als „wandelndes Bild des Vertrauensverlusts in die Politik“ wahrgenommen. Die Wahrnehmung, dass Politiker „keine Konsequenzen fürchten müssen“ , trägt zur politischen Apathie bei und ist dem steten Vertrauensverlust zuträglich.
Untersuchungsausschüsse: Ein Minderheitenrecht
Untersuchungsausschüsse sind ein zentrales Instrument der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland, ein Minderheitenrecht, das die Legislative befähigt, die Exekutive zu überprüfen. Sie bieten weitreichende Befugnisse, darunter Zugang zu geheimen Unterlagen und die Pflicht für Zeugen, vor dem Ausschuss zu erscheinen.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erfordert den Antrag eines Viertels der Bundestagsmitglieder.
Weder die AfD (151 Sitze) noch die Koalition aus Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen (149 Sitze) erreichen das notwendige Quorum eigenständig. Eine Kooperation zwischen AfD und anderen Oppositionsparteien ist unwahrscheinlich. Dies ermöglicht es der Regierungskoalition (CDU/CSU und SPD) , die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu blockieren, da regierende Parteien solche Untersuchungen typischerweise verhindern, um sich nicht „ins eigene Fleisch zu schneiden“. Dies ist ein ernstes Problem, das das Vertrauen in die Rechenschaftspflicht untergräbt.
Exogene Schocks: Unvorhersehbare Herausforderungen für die Regierungsführung
Politik wird immer wieder mit „exogenen Schocks“ konfrontiert – unkontrollierbaren externen Ereignissen, die erhebliche Auswirkungen haben. Solche Schocks erfordern schnelle Reaktionen.
Die COVID-19-Pandemieführte zu umfassender Haushaltspolitik, massiven Investitionen und erhöhter Staatsverschuldung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer „Zeitenwende“. Kanzler Scholz kündigte einen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an. Deutschland entkoppelte sich schnell von russischem Importen und wurde zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine. Aktuell stellt der Konflikt zwischen Israel und Iran eine Herausforderung dar.
Diese Schocks zeigen, dass Regierungen ständig unter Druck stehen. Die Fähigkeit, in Krisen handlungsfähig zu bleiben und gleichzeitig demokratische Prinzipien zu wahren, ist entscheidend für das Vertrauen der Bürger.
Die wahre Stärke einer Demokratie liegt nicht in der Abwesenheit von Meinungsverschiedenheiten, sondern in der Fähigkeit, diese transparent und rechenschaftspflichtig zu handhaben. Es ist die Verantwortung aller demokratischen Akteure, den Wert des konstruktiven Streits zu erkennen und die Mechanismen der parlamentarischen Kontrolle zu stärken. Nur so kann das Vertrauen der Bürger wiederhergestellt und eine lebendige Demokratie gesichert werden.
Der Kampf der politischen Talente um Aufmerksamkeit
Du bist jung, ambitioniert und willst in die Politik? Dann vergiss die alten Parteizentralen! Dein Schlachtfeld ist heute das Smartphone, deine Waffe das Reel, dein Publikum unendlich groß. Gerade für Nachwuchspolitiker ist der Druck immens, sich in der ohrenbetäubenden Kakophonie der sozialen Medien Gehör zu verschaffen. Ein provokanter Post, ein vermeintlich witziges Video – das kann der Durchbruch sein oder das jähe Ende einer vielversprechenden Karriere. Wer heute etwas bewegen will, kommt um das Spiel mit der Aufmerksamkeitsökonomie in den sozialen Medien einfach nicht herum.
Ich habe im Bundestagswahlkampf Falk Fiebig in Nordsachsen unterstützt. Gleich mit einem seiner ersten Reels ging es ab. Es ging über die Böttcher AG und seine Beendigung des Geschäftsverhältnisses, weil dort jemand große Summen an die AfD spendete. Hochaktuelles Thema, persönliche Betroffenheit und authentischer Typ. Das waren unsere Grundzutaten und brachte viele Views, und fast 200 Kommentare. Nicht jeder davon ein Lob. Wer sich öffentlich gegen die AfD stellt, kommt um den Gegenwind nicht herum.
Denn dass muss man anerkennen, die AfD und ihre Follower dominieren dieses Spiel. Vor allem weil sie auf kontroverse und populistische Inhalte setzen. Das ist keine Panne, das ist System. Und in diesem System wird jeder, der nicht aufpasst, zum nächsten Opfer.
Der „ACAB“-Eklat von Jette
Am 27. Mai 2025 schockte Jette Nietzard (mal wieder) mit einem Instagram-Selfie: Sie trug einen Pullover mit dem Kürzel „ACAB“ – „All Cops Are Bastards“. Ein klarer Affront gegen die Polizei, ein Statement aus dem linken Milieu. Nietzard verteidigte sich: Es sei Kritik an „strukturellen Problemen“ und „rassistischen Tendenzen“. Sie habe nicht alle Polizisten gemeint. Klar, wer glaubt das noch? Schon im November 2024 fragte sie auf TikTok provokant: „Was machen Bullen beruflich?“
Die Reaktion? Ein Sturm der Empörung. Selbst Grüne-Spitzenpolitiker forderten ihren Rücktritt. Doch Nietzard blieb stur, keine Entschuldigung, kein Rücktritt. Ein Zeichen von Naivität oder doch nur kalkulierte Provokation?
Nietzard selbst sah die Reaktion der Parteiführung als schädlicher an als ihren Post. Rechtlich mag ACAB als allgemeine Kritik durchgehen , politisch war es ein Eigentor. Es zeigt: die „Authentizitätsfalle“ schnappt zu. Was für die Jugendbewegung ein rebellisches Statement ist, wird für die etablierte Partei zum PR-Desaster.
Gaulands – „Deutschland den Deutschen“:
Der Slogan „Deutschland den Deutschen“ ist kein harmloser Spruch. Er ist ein direkter Gruß aus den dunkelsten Ecken der deutschen Geschichte, ein Schlachtruf von Neonazis und der NPD. Seine Verwendung kann strafrechtlich verfolgt werden.
Der Slogan ist untrennbar mit der AfD verbunden. Im Juni 2017 flog Alexander Gauland, AfD-Spitzenkandidat, auf: Eine geleakte WhatsApp-Konversation enthüllte seine Nutzung rechtsextremer Phrasen, darunter „Deutschland den Deutschen“. Die Partei verpasste ihm eine „offizielle Warnung“ – natürlich mussten die das. Das ist keine Inkompetenz, das ist eine eiskalte Strategie. Die AfD spielt mit dem Feuer, indem sie die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Sie bedient sich historisch belasteter Sprache, um Ressentiments zu schüren, die Wählerschaft anzuheizen und gleichzeitig eine plausible Leugnung aufrechtzuerhalten. Die „offizielle Warnung“ ist nur Theater, um den Anschein von Mäßigung zu wahren, während die radikale Botschaft ihre Wirkung entfaltet. Diese „Dog-Whistle“-Kommunikation untergräbt demokratische Normen und zwingt andere Parteien in eine Abwehrhaltung, die der AfD nur noch mehr Aufmerksamkeit verschafft.
Was die SPD vor diesem Hintergrund am 24.04.2024 geritten hat, diesen Post zu verschicken, werden sie nur selbst beantworten können. Die eigene Wählerschaft entsetzt, die AfD jubiliert, was doch an Sprache übernommen wird. Die perfekten Zutaten für einen veritablen Shitstorm, weswegen das ganze auch sehr schnell wieder gelöscht wurde.
Julia Klöckners Gratwanderung
Anfang Januar 2025 versuchte Julia Klöckner (CDU) das Unmögliche: AfD-Wähler zurückzugewinnen. Ihr Post: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU“. Die Botschaft war klar: Wir können das auch, nur demokratisch.
Der Schuss ging nach hinten los. Heftige Kritik zwang Klöckner zur Löschung. Die neue Version betonte plötzlich, die CDU stehe „gegen die, die unsere Demokratie in Frage stellen“. Zu spät. Die Kommentare sprachen Bände: „einmal die wahren Gedanken ausgerutscht“ oder „CDU – die demokratisch verpackte AfD!“. Die SPD warnte vor einer Koalitionsbelastung , und selbst aus der Union kam der Vorwurf, man spiele „mit dem Feuer“ und „normalisiere“ die AfD. Und die AfD? Nutzte das natürlich taktisch geschickt aus. Der Mythos, dass die Union die AfD nur kopiere war nicht nur geboren, sondern auch instant bestätigt. Eine volle Katastrophe.
Klöckner tadelt Nietzard
Nun hat Politik viel für Ironie übrig.
Klöckner wurde zu Präsidentin des Bundestags. Jette ist (stand heute) noch Vorsitzende der grünen Jugend. Und Klöckner empfiehlt den Grünen für Jette Nietzard den Entzug des Zugangsausweis für den Bundestag. Weiter wird sie im Spiegel.
Insbesondere in meiner Verantwortung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der Polizei beim Deutschen Bundestag, die ihren Dienst für unser Land und den Schutz der Demokratie versehen, trete ich der politischen Botschaft des Aufdrucks und der bewussten Provokation, die mit dem Post unter Bezugnahme auf den Deutschen Bundestag beabsichtigt war, auf das Schärfste entgegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Demokratie-Singles da draußen die mich lesen! Herzlich willkommen zur politisch brisantesten, zur strategisch kniffligsten, ja, zur staatstragendsten Kuppelshow des Jahres! Die Spannung knistert, die Luft flimmert, denn nach dem jüngsten Paukenschlag aus Köln, verkündet vom Bundesamt für Verfassungsschutz , ist es nun amtlich: die AfD, unsere langjährige Bekannte vom rechten Rand, trägt jetzt das Gütesiegel „gesichert rechtsextremistisch“. Ein Wendepunkt, ein finaler Weckruf, ein schwarzer Freitag für die Demokratie – je nachdem, wen Sie fragen.
Und nun steht das Who-is-who der Politik vor der Mutter aller Partnerwahlen: Welche Strategie wählt man, um mit diesem, sagen wir mal, herausfordernden Kandidaten umzugehen? Ignorieren? Konfrontieren? Kopieren? Die Einsätze sind hoch, es geht nicht nur um eine Rose oder ein paar Wählerstimmen mehr oder weniger. Nein, es geht um die Stabilität der Republik, um die vielzitierte „wehrhafte Demokratie“. Denn diese Einstufung ist mehr als nur ein neues Etikett. Sie bedeutet potenziell: verstärkte Beobachtung durch den Verfassungsschutz, auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie V-Leuten. Man diskutiert offen über AfD-Mitglieder im Staatsdienst – dürfen die noch Beamte sein? Und sie lässt die Rufe nach einem AfD-Verbotsverfahren wieder lauter werden. Die AfD selbst? Gibt sich kämpferisch, spricht von politischer Motivation, kündigt Klagen an und ist doch spürbar hochnervös.
Und als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, schaut auch noch das Ausland ganz genau hin. Während die einen die Entscheidung als notwendigen Schritt zum Schutz der Verfassung loben, werfen andere, darunter hochrangige US-Politiker, Deutschland gar „verdeckte Tyrannei“ vor und sehen die Demokratie durch das Vorgehen gegen die Oppositionspartei gefährdet. Ein internationaler Druckkessel, der die Wahl der richtigen Strategie noch brisanter macht.
Aber genug der Vorrede! Holen wir die hoffnungsvollen Kandidaten auf die Bühne! Und mit hoffnungsvoll meine ich hier nicht die Erfolgschancen, sondern lediglich den Umstand, dass ebenjene Kandidaten der Regierung angehören oder wie Carsten Linnemann halt nur dem Bundestag. Seine Entscheidung, die Merz sicher geschadet hat, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Schauen wir und die Kandidaten an.
Die Merz-Methode
Hier kommt er, unser erster Kandidat! Ein Mann wie ein Fels in der Brandung – oder vielleicht einfach nur… ein alter Stein? Wir nennen ihn Friedrich M., frischgebackener Kanzler der Republik. Seine Taktik im Umgang mit der frisch als rechtsextremistisch eingestuften AfD? Zunächst einmal: Schweigen. Ein lautes Schweigen? Ein ratloses Schweigen? Oder einfach nur die Ruhe vor dem Sturm?
Die Einstufung durch den Verfassungsschutz platzt mitten in die Zeit des Regierungswechsels, kurz bevor Friedrich M. das Kanzleramt übernehmen sollte. Die scheidende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ihn, wie auch Noch-Kanzler Olaf Scholz und den designierten Nachfolger Dobrindt, zwar vorab über den Schritt informiert. Damit nahm sie ihm die Entscheidung über die Einstufung selbst zwar ab, aber die Verantwortung für den Umgang damit liegt nun bei ihm. International wird das Timing als heikel betrachtet. Wobei, am heikelsten wäre ein Termin vor der Wahl gewesen. Und heikel wäre auch ein Termin nach der Amtsübergabe gewesen, aber dazu später mehr.
Beobachter sehen Merz vor einer „höchst prekären politischen Gratwanderung“. Seine Partei, die Union, zeigt sich in der Frage eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens eher zurückhaltend.
Was spricht für den schweigsamen Friedrich?
Einerseits hat die AfD angekündigt, dagegen zu klagen. Das macht sie zwar immer, hatte aber bisher in fünf von sechs dieser Klagen keinen Erfolg. Da kann es durchaus auch geboten sein, die Entscheidung abzuwarten und sich gleichzeitig mehr Zeit zur Festlegung der Strategie zu erkaufen. Erkauft mit dem Unverständnis derjenigen, die jetzt sofort reagieren würden, wie zum Beispiel sein Dauerrivale Daniel Günther, der lieber gestern als heute ein Verbotsverfahren starten würden.
Auch der scheidende Kanzler Scholz mahnte, nichts übers Knie zu brechen. Schweigen kann Raum geben, die vielfältigen Reaktionen abzuwarten und zu analysieren.
Wer nichts macht, kann auch keine Fehler machen. Der Stachel des Gegenwinds auf den provozierten und fehlgeschlagenen Schulterschluss mit der AfD bei der Migrationsabstimmung sitzt noch tief. Dann die 180 Gradwende beim Thema Schulden. Wann immer Merz irgendetwas tat, brachte es ihm Gegenwind ein. Das ist zwar Teil des Politikgeschäftes, aber in der Stärke schon arg. Merz wird schon vor Amtsantritt als viel schwächer eingeschätzt, als es Habeck je war. Und das will schon was heißen. Zudem kennt die Politikwissenschaft das „Ignorieren“ durchaus als mögliche, wenn auch riskante Strategie.
Fassen wir zusammen, Merz hat jedes Fettnäpfchen mit Anlauf genommen, was rumstand. Und das Thema Umgang mit der AfD ist so aufgeladen, dass er egal wie, den falschen Ton treffen würden. Dann doch lieber den Mund halten.
Allerdings wird Friedrich in dieser Woche wohl zum Kanzler ernannt. Und an die Position sind die Erwartungen nach Haltung und Orientierung sehr hoch. Wenn der zukünftige Kanzler schweigt, überlässt er anderen das Feld. Die Gefahr: Das Narrativ der AfD (die politische Verfolgung) oder das Narrativ der Kritiker (die Verharmlosung durch die Regierung) verfängt sich, bevor er ihre eigene Position klar formuliert hat(First-Mover-Effekt).
Zu guter Letzt besteht die Gefahr, dass trotz aller offiziellen „Brandmauer“-Beteuerungen das Schweigen als Indiz gewertet werden könnte, dass man sich Türen offenhalten will. Das würde auch den Bedenkenträgern in die Karten spielen, dass das Amt für Jens Spahn, der Fraktionsvorsitz mehr als ein Freundschaftsbeweis ist. Unionsintern wird Spahn als so machtbesessen dargestellt, dass nicht ausgeschlossen ist, dass er sich mit den Stimmen der AfD zum Folgekanzler auf Merz küren lassen würde. Das enttäuscht diejenigen, die eine unmissverständliche Abgrenzung fordern.
Man kann davon ausgehen, dass er weiß was er tut. Er muss einen Balanceakt vollführen: zwischen den Hardlinern in der Union, die klare Kante fordern, den Pragmatikern, die AfD-Wähler zurückgewinnen wollen , den juristischen Unwägbarkeiten und der kritischen Beobachtung aus dem Ausland.
Die Dobrindt-Devise: Wegregieren!
Ring frei für Kandidat Nummer Zwei! Hier kommt Alexander D., der designierte Innenminister aus Bayern, mit einer zupackenden Ansage: Die AfD? Die muss man nicht verbieten, die muss man „wegregieren“!. Das klingt doch nach Tatkraft, nach Ärmel hochkrempeln, nach Problemlösung! Aber Moment mal, was heißt das denn nun genau? Heißt das, die Sorgen der Bürger so gut zu adressieren, dass niemand mehr die AfD braucht? Oder heißt das vielleicht doch, bei den Themen der AfD kräftig zu wildern, um deren Wähler anzulocken?
Alexander Dobrindt (CSU) positioniert sich klar gegen ein AfD-Verbotsverfahren. Seine Begründung: Das würde jahrelang dauern und wäre nur „Wasser auf die Mühlen der AfD“, die sich dann als Opfer inszenieren könnte. Stattdessen müsse man die Partei politisch stellen und durch gute Regierungsarbeit überflüssig machen. Gleichzeitig verfolgt die Union insbesondere in der Migrations- und Asylpolitik einen Kurs, der sich inhaltlich stark an Forderungen orientiert, wie sie auch die AfD erhebt: strikte Begrenzung, schnellere Abschiebungen, Grenzkontrollen, Sach- statt Geldleistungen, Aussetzung des Familiennachzugs. Und nach eigenem Bekunden, sollen diese Maßnahmen sehr schnell nach Regierungsübernahme umgesetzt werden.
Was spricht für den Weg von Dobrindt?
Ganz ehrlich: nichts!
Dobrindt geht der irrigen Annahme aus, es würde irgendwie reichen, den kleinen Finger zu reichen. Wird es nicht! Auch wenn die Idee gut klingt: zügige Umsetzungen zeugen von Umsetzungswillen und Entschlossenheit. Das klingt nach Aufbruch und Vision. Indes zeigen die letzten Wahlen(hab ich ja viel drüber geschrieben) das es eine einzige Partei gab, die es auch nur ansatzweise Stimmen der AfD streitig zu machen: das BSW. Nur hat ebenjenes die Bundestagwahl verloren und es gibt viele Querelen und Austritte. Mehr dazu hier:
Indem man die Themen der AfD aufgreift(a.k.a. kopiert, damit kokettiert die AfD ja auch mittlerweile sehr offen) und mit ähnlichen Maßnahmen reagiert, läuft man stets Gefahr, rechtspopulistische Positionen salonfähig zu machen. Die Grenze zwischen notwendiger Problembearbeitung und Anbiederung an rechte Stimmungen verschwimmt. Die große Frage: warum die Kopie wählen, wenn es das Original gibt?
Die Strategie konzentriert sich zudem auf Sachthemen und ignoriert komplett die tiefere, ideologische Dimension der AfD. Die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ basiert ja gerade auf den Verstößen gegen die Menschenwürde, einem völkischen Volksbegriff und Demokratiefeindlichkeit – Aspekte, die durch „gutes Regieren“ allein nicht verschwinden.
Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge: Man versucht, Wähler vom rechten Rand zurückzulocken, ohne die eigene Basis in der Mitte zu verlieren und ohne die extremistischen Narrative weiter zu normalisieren. Ob dieser Spagat gelingen kann, ist mehr als fraglich.
Linnemann, Der Protest-Versteher
Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, der Mann mit dem großen Herzen für… ja, für wen eigentlich? Sein Credo im Umgang mit der AfD und ihren Wählern: Schluss mit dem „Nazi-Bashing“ und dem „Brandmauergerede“!. Die meisten AfD-Wähler seien doch nur aus Protest dabei, frustriert, abgehängt. Ein Mann, der zuhören will, der Verständnis zeigt. Aber ist das Empathie oder gefährliche Naivität?
Spoiler: Letztes!
Linnemann hat mehrmals öffentlich gefordert, die pauschale Verurteilung der AfD und ihrer Wähler zu beenden. Das Nazi-Bashing mache die Partei nur größer. Er differenziert zwar: Ja, es gebe Rassisten und Antisemiten in der AfD, aber die Wähler seien eben oft nur unzufriedene Protestwähler. Diese müsse man inhaltlich überzeugen, statt sie mit der „Nazi-Keule“ zu vertreiben.
Natürlich muss man Linnemann ein Stückweit recht geben. Die Nazi-Keule wird aktuell sehr gern und oft geschwungen. Indes, beim einem Teil des Klientels verfängt das gar nicht mehr. In einem Deutschlandtrend der ARD meinten zwei drittel der AfD Wähler, dass es ihnen egal wäre, dass die AfD als rechtsextrem gilt, so lange sie die richtigen Themen anspricht. Im Selbstverständnis der AfD Wähler gilt es ja schon als rechtsextrem, wenn man einen Benziner fährt oder Fleisch ist. Generell hat sich die Kommunikationsstrategie der AfD komplett auf 3 Bereiche konzentiert:
wir sind das Opfer
den staatlichen Institutionen kann man nicht vertrauen
Ausländer sind eine Gefahr
Eine Anbiederung kann da nicht erfolgreich sein. Eine Deeskalation, ein Verständnis, eine Konfliktscheue, alles Wischi-Waschi.
Und dieses Wischi-Waschi passiert auf dem Rücken von Betroffenen. Menschengruppen, die von der rassistischen, menschenverachtenden Rhetorik und Politik der AfD direkt betroffen sind, fühlen sich durch eine solche Verharmlosung vor den Kopf gestoßen. Sie erwarten klare Kante und Solidarität, kein Verständnis für die Wähler einer extremistischen Partei.
Linnemanns Versuch, eine klare Trennlinie zwischen der (bösen) Partei und den (nur protestierenden, also irgendwie unschuldigen, *LOL*) Wählern zu ziehen, erscheint nach der Einstufung der gesamten Partei als rechtsextremistisch nicht mehr haltbar.
Linnemanns Strategie läuft Gefahr, diesen Wählern eine Art Absolution zu erteilen, sie aus der Verantwortung für ihre Wahlentscheidung zu entlassen.
Klingbeil -der Politische Ringer
Ein weiterer Bewerber betritt die Arena! Lars K., der designierte Vizekanzler und SPD-Chef , kommt mit einer klaren Ansage: Die AfD muss man politisch „kleinkriegen“! Klingt nach Kampfansage, nach direkter Konfrontation im politischen Ring. Aber was steckt genau dahinter? Ist das reiner Schlagabtausch oder eine durchdachte Strategie?
Lars Klingbeil betont immer wieder die Notwendigkeit, die AfD politisch zu stellen und zu bekämpfen. Er zeigt sich skeptisch gegenüber einem Verbotsverfahren als alleinigem Mittel, da dies langwierig sein und der AfD in ihrer Opferrolle nutzen könnte. Stattdessen fordert er, dass die neue Regierungskoalition unter Kanzler Merz, der er selbst als Vizekanzler angehört, schnell handelt, das Gutachten des Verfassungsschutzes auswertet und Konsequenzen zieht. Der Kern seiner Strategie: Durch gute Regierungsarbeit, die den Menschen Sicherheit und Zuversicht gibt, durch einen besseren politischen Stil und durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD, soll dieser der Nährboden entzogen und sie „kleingekriegt“ werden. Dabei will er AfD-Wähler zurückgewinnen, ohne sie pauschal zu diskreditieren , während er gleichzeitig die Partei selbst und ihre Führung klar als rechtsextrem benennt.
Ich bekomme manchmal echt einen richtigen Hals, wenn ich noch mehr von dem Schwachsinn der „guten Politik“ höre. Aber hey, gibt es denn keine gute Politik? Doch die gibt es:
Gute Politik denkt nicht in Wahlergebnissen,
gute Politik denkt an Alle
und gute Politik denkt voraus.
Und dann haben wir einen Koalitionsvertrag, der das riesige Thema Rente weit weg von sich schiebt. Der notwendige Investitionen mit einem Sternchen versieht, Finanzierungsvorbehalt. Der halt rhetorisch Orientierung gibt, aber faktisch versagt. Und in einer globalen Weltwirtschaft passieren Dinge. Weltwirtschaftskrise, Corona, Putin, Trump. Die Resilienz Deutschlands ist nicht wirklich besser geworden.
Die Qual der Wahl: kein Happy End in Sicht?
So, lieber Leser und Leserinnen. Jetzt haben wir den Salat. 4 Methoden, alle belegt inneffektiv. Aber warum ist der Umgang mit der AfD eigentlich so schwer?
Weil die AfD eben nicht nur ein politischer Gegner wie jeder andere ist. Sie ist, wie nun bestätigt, eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Sie agiert bewusst mit Provokation, Polarisierung und der Delegitimierung demokratischer Institutionen, um den Diskurs zu verschieben und eine eigene Parallelöffentlichkeit zu schaffen.Wir reden über Entfremdung von der Politik, über Anti-Establishment bis hin zu einer tatsächlichen Zustimmung zu autoritären, rassistischen und nationalistischen Positionen. Eine simple Strategie wird dieser Komplexität nicht gerecht. Die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ verschärft das Dilemma nun zusätzlich: Ein einfaches Ignorieren ist kaum noch zu rechtfertigen, eine Anbiederung wäre fatal, aber auch die reine Konfrontation birgt Risiken – sie kann den Opfermythos der AfD befeuern und zur weiteren Radikalisierung beitragen.
Vielleicht liegt das Kernproblem aber noch tiefer. Alle vorgestellten Strategien sind primär reaktiv. Sie kreisen um die AfD, versuchen, sie zu managen, ihre Wähler zurückzugewinnen oder ihre Wirkung einzudämmen. Sie lassen sich die Agenda von der AfD diktieren. Solange die etablierten Parteien aber hauptsächlich auf die AfD reagieren, statt proaktiv eine eigene, positive und überzeugende Vision für alle Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln und umzusetzen, geben sie der AfD indirekt Macht. Eine wirklich erfolgreiche Strategie müsste vielleicht darüber hinausgehen, die AfD nur zu bekämpfen. Sie müsste die Ursachen für ihren Erfolg – den Vertrauensverlust in die Politik, die soziale Spaltung, die Zukunftsängste – mit glaubwürdiger, transparenter gerechter und zukunftsorientierter Politik adressieren, ohne dabei die Narrative der Extremisten zu übernehmen. Die bisherigen Ansätze wirken dagegen oft wie reine Symptombekämpfung.
Schlussakkord
Tja, liebe Demokratiefreunde, das war’s für heute von „Herzblatt für Strategen“. Eine klare Entscheidung? Ein Traumpaar in Sicht? Fehlanzeige! Es bleibt ein Ringen, ein Suchen, ein politisches Vabanquespiel. Für welche Taktik sich unsere Kandidaten und ihre Parteien am Ende entscheiden werden und ob daraus die große Liebe zur demokratischen Stabilität erwächst wird die Zukunft zeigen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich in erstaunlich kurzer als relevante politische Kraft, vor allem in Ostdeutschland dargestellt. Lange Zeit kannte die Partei in den Umfragen nur eine Richtung: nach oben. Aus dem Stand gelang es, in drei ostdeutsche Landtage reinzukommen und auch die Europawahl kann man als Erfolg für die junge Partei verbuchen.
Doch mit dem denkbar knappen Nicht-Erreichen der Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl wurde der Hype-Train jäh gestoppt. Auch hat diese parteiinterne Konflikte, die lange unter dem Radar geblieben waren, zu Tage gefördert, was die Außenwirkung stark negativ prägt.
Interne Spannungen und Parteiaustritte: Zeichen der Instabilität?
Ein Blick auf die innere Verfassung des BSW zeigt, dass die Partei nicht nur für andere politische Akteure eine Herausforderung darstellt, sondern auch mit sich selbst ringt. Die Spannungen zwischen der Thüringer Landesvorsitzenden Katja Wolf, die eine pragmatischere Linie in Richtung Koalitionsfähigkeit vertritt, und Teilen der Bundespartei rund um Sahra Wagenknecht waren öffentlich sichtbar und werfen Fragen nach der Hierarchie und dem Kurs der Partei auf.
Hinzu kommen Berichte über Parteiaustritte von Mitgliedern, die Unzufriedenheit mit der Entwicklung des BSW signalisieren. Besonders bemerkenswert sind hier Austritte wie der des Europaabgeordneten Friedrich Pürner. Solche Abgänge, begleitet von Kritik an der Migrationspolitik der Partei oder sogar von Vorwürfen einer „Kultur des Misstrauens“, schaden dem einst makellosen Bild der Partei als geeinte und verlässliche Kraft. Für potenzielle Koalitionspartner ist die innere Stabilität einer Partei ein gewichtiger Faktor. Häufen sich interne Konflikte und treten sogar gewählte Mandatsträger aus, macht das die Partei als Bündnispartner schwer kalkulierbar und eher zum Stolperstein. Dass die BSW-Abgeordneten im Europaparlament derzeit fraktionslos sind, unterstreicht zudem die Herausforderungen der Partei, sich auch international stabil zu vernetzen.
Sachsen: Komplexe Suche nach einer Mehrheit
Auch in Sachsen hat das starke Abschneiden des BSW die Suche nach einer stabilen Regierung erschwert. Das Wahlergebnis erlaubte eigentlich kein Weiterso bisherigen Koalitionspartner. Nach schwierigen Sondierungen und Verhandlungen zeigte sich, dass die Bedingungen des BSW für die anderen Partner nicht erfüllbar waren. Was nun auch zu einer Minderheitsregierung führte. In diesem Kontext wurde deutlich: Das BSW ist kein leichter Partner, die Forderungen machen klar, dass die Unterschiede weit grösser sind als die Gemeinsamkeiten mit den anderen Parteien.
Brandenburg & Thüringen: Koalitionen mit BSW-Beteiligung
In Brandenburg und Thüringen hat das BSW den Schritt in die Regierungsverantwortung gewagt und ist Teil der jeweiligen Landesregierungen. Dies zeigt, dass eine Koalition mit dem BSW prinzipiell möglich ist und das Bündnis bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Es wäre ein großer Fehler außer Acht zu lassen, dass die starken Ergebnisse der AfD und die Schwäche der anderen Parteien(in BB flogen Grüne, FW/BVB und Linke aus dem Landtag, in Thüringen FDP und die Grünen) den Druck, erfolgreich bei den Koalitionsverhandlungen zu sein, immens erhöhten.
Das knappe Bundestagsergebnis: Ein nationales Handicap?
Das Ergebnis der letzten Bundestagswahl wirkt nach: Das BSW verfehlte den Einzug in den Bundestag als Fraktion nur denkbar knapp an der 5-Prozent-Hürde. Dieses knappe Scheitern auf nationaler Ebene mag zwar die Relevanz in den Ländern nicht aufheben, zeigt aber, dass das BSW bundesweit noch nicht so breit verankert ist.
Zum anderen ist das Ansehen der Königin angekratzt. Die starke von Wagenknecht beeinflusste Auswahl an Parteimitgliedern, das Einmischen in die Koalitionsverhandlungen bei den Landtagen und die mediale Fokussierung auf Wagenknecht als Gesicht der Partei. Auch die Möglichkeiten der Selbstdarstellung werden durch die geringere nationale mediale Präsenz weniger und die Mandatsträger werden nun nach Taten und nicht mehr den Versprechen gemessen.
Alles wird jetzt in Frage gestellt, wo die Partei und Sahra Wagenknecht im Speziellen ihr Mandat nicht verteidigen konnte.
Der Dämpfer aus Mecklenburg-Vorpommern
Jüngste Umfragen liefern weitere Nahrung für die Debatte um die Rolle des BSW. Eine aktuelle Umfrage in Mecklenburg-Vorpommern zeigte einen deutlichen Rückgang der Zustimmungswerte für das BSW um ganze zehn Prozentpunkte im Vergleich zu früheren Erhebungen. Bei gleichzeitigem Erstarken der Partei die Linke um ebenjene zehn Prozentpunkte.
Bei der Betrachtung der Rolle des BSW für die Zukunft, sollte man auch nie die wieder erstarkte Linke Partei vergessen, deren fulminante Rückkehr erst durch Friedrich Merz und seiner Suche nach Mehrheiten mit der AfD möglich wurde.
Genau jene Abstimmung brachte das BSW in die entscheidende politische Zwickmühle: Die selbst aufgeworfene Brandmauerdiskussion zwang das BSW gerade zu, beim Schulterschluss der Union mit der AfD nicht dagegen zu sein.
Nun heißt für viele linke Politik eben auch unbedingt Antifaschismus. Und weil das sonst keine Partei so echt und so laut wie die Linke und ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinek im Bundestag darbot, begann das politische Comeback zu neuen Spitzenwerten, die lange unerreichbar schienen.
Für das BSW bedeutet das wohl, dass der anfängliche Hype nicht zwangsläufig von Dauer ist. Gerade die Umfrage in Mecklenburg-Vorpommern bringt die Partei wieder an die psychologisch gefährliche 5% Hürde heran.
Fazit: Mehr Stolperstein als Brücke?
Zusammenfassend kann man sagen: Das BSW hat zweifellos Potenzial, die politischen Verhältnisse in Ostdeutschland ordentlich durcheinanderzuwirbeln. Ihre Fähigkeit, Protestwähler anzuziehen, macht sie zu einem Faktor, der bei Koalitionsüberlegungen nicht ignoriert werden kann. Doch die Beispiele aus Thüringen, die internen Querelen und Parteiaustritte und der Umfragedämpfer aus Mecklenburg-Vorpommern legen den Schluss nahe, dass das BSW derzeit eher ein politischer Klotz am Bein ist, denn verlässlicher Partner.
Mir missfällt es, von einem Schock oder einem Beben zu reden, wenn etwas passiert, was irgendwie erwartbar und wenig überraschen passiert. Die Alternative für Deutschland (AfD) liegt erstmals in Sonntagsfragen als stärkste Kraft vor der Union
Das kam nicht aus heiterem Himmel. Bereits bei der Bundestagswahl im Februar hatte die AfD ihren Stimmenanteil mit 20,8 Prozent gegenüber 2021 (10,3%) verdoppelt und wurde klar zweitstärkste Kraft. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern etablierte sie sich als dominante politische Kraft. Die Umfragewerte vom April 2025 signalisieren jedoch eine neue Stufe der politischen Realität und werfen drängende Fragen auf.
Dieser Beitrag verfolgt drei Ziele: Erstens schauen wir auf die vielschichtigen Ursachen für den anhaltenden Höhenflug der AfD. Zweitens wagen wir einen Ausblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen im Jahr 2026. Drittens sollen die politischen Themen identifiziert werden, die diese Wahlkämpfe voraussichtlich prägen werden.
Der AfD-Höhenflug
Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht auf eine einzige Ursache reduzieren. Vielmehr wirkt ein komplexes Bündel von Faktoren zusammen, die sich gegenseitig verstärken.
Unzufriedenheit mit Parteien & Regierungshandeln
Ein zentraler Treiber für die Stärke der AfD ist die tiefgreifende und weit verbreitete Unzufriedenheit und das sinkende Vertrauen mit den etablierten Parteien und dem Regierungshandeln – sowohl der vormaligen Ampel-Koalition als auch der sich nach der Wahl im Februar 2025 formierenden schwarz-roten Bundesregierung.
Über die Ampel wurde ja schon viel zu viel geschrieben. Nun kommt aus ebenjenem Lager die selbe Kritik der Union unter Friedrich Merz, insbesondere der umstrittene Kurswechsel bei der Schuldenbremse nach der Wahl und der Zick-Zack-Kurs im Umgang mit der AfD.
Diejenigen, die vor der Wahl unter dem Hashtag #MerzKannEsNicht propagierten, scheinen nun Recht zu behalten. Die neue Regierung startet mit einem Klotz am Bein, noch bevor sie so richtig begonnen hat. Es gibt politische Richtungswechsel und eine Menge Streit. In einer Zeit, wo ein Trump wie ein Kleinkind mit der Wirtschaftsmacht USA und damit dem Weltwirtschaftssystem umgeht.
Die AfD profitiert davon. Ein Großteil der Deutschen (85 %) und auch eine Mehrheit der AfD-Anhänger selbst (64%) führt die Stärke der Partei hauptsächlich auf die Unzufriedenheit mit den anderen Parteien zurück. Allerdings wäre es zu sehr verkürzt, die AfD-Wählerschaft ausschließlich als Protestwähler zu betrachten. Der Anteil derer, welche die AfD aus Überzeugung und wegen ihrer politischen Forderungen wählen, wächst.
Das deutet auf eine zunehmende ideologische Verfestigung der Wählerbasis hin, die über situativen Protest hinausgeht. Es ist eine Verschiebung, die es für Parteien schwieriger macht, diese Wähler allein durch bessere Politik zurückzugewinnen, das neue Credo derjenigen, die den Rechtsruck nicht wahrhaben willen. Es spielen auch neue weltanschauliche Themen eine Rolle oder benennen wir es einfach: Faschismus.
Sozioökonomische Ängste
Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann ist es, das die Wahl einer Partei viel mehr ist, als eine bloße Stimmabgabe, ein Kreuz an einem bestimmten Tag. Es ist ein Lebensgefühlt. Wann immer bei bestimmten Themen die Parteipräferenz abgefragt wurde, so zeigen sich teils kuriose Unterschiede.
Ängste vor wirtschaftlicher Rezession, vor anhaltender Inflation, vor sozialem Abstieg. vor Impfnebenwirkungen, Vertrauensverlust in die Medien, in die Gerichte und in die Politik an sich. All das ist bei Wählern der AfD(und auch des BSW) weit deutlicher ausgeprägt als bei den Wählern anderer Parteien.
Hier zeigt sich auch ein bemerkenswertes Phänomen, das als „AfD-Paradox“ bezeichnet wird: Die politische Agenda der AfD – EU-Skepsis, strikte Asylpolitik, Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen, Forderungen nach Kürzungen bei Sozialleistungen, und und und – würde gerade die eigene Wählerschaft am stärksten negativ treffen. Dass diese Wählergruppen dennoch die AfD unterstützen, deutet darauf hin, dass für die Wahlentscheidung nicht mehr allein rationale Erwägungen ausschlaggebend sind.
Vielmehr hat die Kommunikationsstrategie der AfD, das klassische Täter-Opfer-Retter Dreieck Früchte getragen. Wer der Täter dabei ist, ist beliebig, aber das Opfer ist der deutsche Bürger und der Retter die AfD.
Normalisierung und Enttabuisierung
Ein weiterer Faktor ist die fortschreitende Normalisierung der AfD und die Enttabuisierung rechtsextremer Positionen in Teilen der Gesellschaft. Der Anteil der Wahlberechtigten, die eine Wahl der AfD kategorisch ausschließen, ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Immer weniger Meschen stören sich an den verfassungsfeindlichen Tendenzen innerhalb der Partei.
Bemerkenswert ist die Verschiebung der Selbstwahrnehmung: Eine große Mehrheit der AfD-Wähler (84 Prozent ) verortet ihre Partei inzwischen „in der politischen Mitte und nicht rechts“. Begünstigt wird dieser Prozess auch durch das Verhalten anderer politischer Akteure, wenn diese Narrative oder Positionen der AfD übernehmen und damit zur Enttabuisierung beitragen. Die sinkende Hemmschwelle, die AfD zu wählen liegt an der Normalisierung der Positionen. Und diese hat vor allem die Union(und BSW & FDP) vor der Wahl bedient.
Ostdeutscher Faktor / Jungnazis
Die hohen Zustimmungswerte für die AfD in Ostdeutschland haben komplexe Gründe. Dazu gehören nachwirkende Erfahrungen aus der Wende und eine Veränderungsmüdigkeit. Jedoch der Tenor, dass die AfD ein rein ostdeutsches Phänomen ist, wird durch aktuelle Umfragen ad absurdum geführt.
Besorgniserregend ist auch die wachsende Zustimmung zur AfD auch unter jungen Wählern, insbesondere bei jungen Männern. Hier ist ein Potpourri aus Incels, traditionellem Familienbild und christradikalen vor allem auf Social Media aktiv, um zu erklären, wann ein Mann ein Mann ist.
Blick auf 2026: Die Landtagswahlen in vier Bundesländern
Vor dem Hintergrund lohnt ein Blick auf die vier Bundesländer, in denen 2026 Landtagswahlen anstehen: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Sachsen-Anhalt (ST):
Die Umfragen zeigen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD. Die AfD konnte bei der Bundestagswahl 2025 in Sachsen-Anhalt massiv punkten, profitierte von der Unzufriedenheit mit der Bundespolitik und mobilisierte stark, auch bei jungen Wählern. Das neu angetretene BSW etabliert sich als relevanter Faktor. Die CDU unter Ministerpräsident Haseloff bzw. seinem Nachfolger(noch nicht geklärt) steht unter massivem Druck, die eigene Wählerschaft zu halten und gleichzeitig eine klare Abgrenzung zur AfD zu wahren. Die Ampelparteien SPD und Grüne sowie die Linke sind laut Umfragen stark geschwächt, die FDP kämpft um den Einzug.
Es zeichnet sich ein Patt zwischen CDU und AfD als stärkste Kräfte ab. Eine Regierungsbildung ohne oder gegen die AfD wird extrem schwierig. Sollten AfD und BSW zusammen über 40% erreichen und FDP/Grüne/Linke an der 5%-Hürde scheitern oder nur knapp darüber liegen, könnten stabile Mehrheiten jenseits der AfD mathematisch kaum noch möglich sein. Dies birgt die Gefahr der Instabilität und könnte zu einer Minderheitsregierung oder einer sehr breiten Koalition unter Einschluss des BSW führen, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Die hohen AfD-Werte könnten das Land in eine „Unregierbarkeitsfalle“ führen, die die politische Handlungsfähigkeit lähmt und die Demokratie vor Ort unter Druck setzt.
Mecklenburg-Vorpommern (MV):
Die AfD liegt in den Umfragen mit fast 30% klar an der Spitze, während die SPD von Ministerpräsidentin Schwesig massive Verluste hinnehmen muss. Bei der Bundestagswahl 2025 erreichte die AfD hier mit 35% ein Rekordergebnis. Die CDU stagniert auf niedrigem Niveau, das BSW ist auch hier stark. Die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik und das Thema Migration dominieren auch hier die Stimmung. Die AfD ist besonders im ländlichen Raum stark.
Die AfD dürfte 2026 mit hoher Wahrscheinlichkeit stärkste Kraft werden. Eine Fortsetzung der SPD-geführten Regierung ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar. Die Regierungsbildung wird sehr schwierig. Denkbar wäre eine Koalition unter CDU-Führung (als zweit- oder drittstärkste Kraft) mit SPD und/oder BSW, die sich gegen eine sehr starke AfD-Opposition behaupten müsste.
Baden-Württemberg (BW):
Die politische Landschaft unterscheidet sich deutlich von der in ST und MV. Die CDU liegt in Umfragen klar vor den Grünen, die nach dem angekündigten Rückzug von Ministerpräsident Kretschmann deutlich an Zustimmung verlieren. Die AfD hat sich auf hohem Niveau (um 18%) stabilisiert und ist drittstärkste Kraft, aber weit von den Werten im Osten entfernt. Die SPD bleibt schwach, die FDP muss um den Wiedereinzug bangen. Der Wahlkampf wird voraussichtlich vom Duell der Spitzenkandidaten von CDU (Manuel Hagel) und Grünen (voraussichtlich Cem Özdemir) geprägt sein.
Ein Machtwechsel ist wahrscheinlich. Die CDU hat gute Chancen, stärkste Kraft zu werden und den Ministerpräsidenten zu stellen. Wahrscheinlichste Koalitionsoptionen sind Schwarz-Grün (mit vertauschten Rollen) oder Schwarz-Rot. Die AfD wird als starke Oppositionskraft im Landtag bleiben, aber keine realistische Regierungsoption haben.
Rheinland-Pfalz (RP):
Die Situation ist offener als in BW. CDU und SPD liegen in den Umfragen eng beieinander, wobei die CDU zuletzt leichte Vorteile hatte. Die langjährige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) tritt nicht mehr an, was die Karten neu mischt. Die AfD verzeichnet massive Zugewinne im Vergleich zur letzten Wahl und liegt bei rund 19%. Grüne, Linke und das BSW könnten ebenfalls in den Landtag einziehen und zu wichtigen Akteuren bei der Regierungsbildung werden. Die FDP ist stark geschwächt. Die bisherige Ampel-Koalition hat keine Mehrheit mehr.
Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD um Platz eins ab. Die Regierungsbildung wird komplex. Eine Große Koalition wäre eine Option, aber auch Dreierbündnisse unter Einbeziehung von Grünen, Linken oder dem BSW sind denkbar, je nach genauem Wahlausgang. Die AfD wird ihre Position als starke Oppositionskraft ausbauen, aber von einer Regierungsbeteiligung weit entfernt bleiben.
Zwischen Verunsicherung und politischem Wandel
Die Tatsache, dass die AfD im Frühjahr 2025 in bundesweiten Umfragen erstmals zur stärksten Kraft aufstieg, ist mehr als eine Momentaufnahme. Sie ist ein Symptom tiefer liegender Verunsicherungen in Deutschland. Gleichzeitig spiegelt sie aber auch den Erfolg einer Partei wider, die es versteht, diese Stimmungen gezielt zu nutzen, Ängste zu schüren und sich durch eine fortschreitende Normalisierung eine immer breitere Wählerbasis zu erschließen.
Der Blick auf die Landtagswahlen 2026 zeigt, dass Deutschland vor wichtigen Richtungsentscheidungen steht. Insbesondere in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern drohen durch die massive Stärke der AfD schwierigste politische Verhältnisse bis hin zur potenziellen Unregierbarkeit, wenn stabile Mehrheiten ohne oder gegen die AfD kaum noch zu bilden sind.
Jugendorganisationen der Parteien spielen eine zentrale Rolle in der politischen Landschaft Deutschlands. Sie dienen nicht nur der Nachwuchsförderung, sondern prägen auch maßgeblich die Ausrichtung und Dynamik ihrer Mutterparteien. Ließt man die Nachrichten der letzten Wochen, zeigt sich, dass diese manchmal mehr im Fokus stehen als die Mutterparteien.
Die Grüne Jugend: teilweise Abkehr von der Mutterpartei
Im September 2024 sorgte die Grüne Jugend für Aufsehen, als der gesamte Bundesvorstand geschlossen aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen austrat. Man begründete diesen Schritt mit der Entfremdung von der Parteiführung und der Unzufriedenheit über die politische Ausrichtung der Grünen. Sie kündigten die Gründung einer neuen linken Jugendorganisation an, die sich stärker für soziale Gerechtigkeit und konsequenten Klimaschutz einsetzen soll. Nun wurde auch ein Name für das Vehikel gefunden, dass zwischenzeitlich den sperrigen Namen „Zeit für was Neues 2024“ bekannt war: Linke Jugend. Das klingt der Linksjugend zum verwechseln ähnlich und hat in der Linkspartei für etwas Unmut gesorgt.
Was der neue Vorstand und vor allem Jette Nietzard so treibt, hatte ich hier ja schonmal. In der Zwischenzeit hat sie noch mal mit der Forderung nach Orgasmen-Gerechtigkeit für Aufsehen gesorgt. Wer hätte je gedacht, dass ich jemals in einem politischen Blog das Wort Orgasmus platzieren würde, ihr etwa? Ihre Analyse des Koalitionsvertrages „zu wenig drin für junge Menschen“ unterschriebe ich sofort.
Auflösung der Jungen Alternative: Konsequenz rechtsextremer Tendenzen
Die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA), wurde im März 2025 aufgelöst. Zuvor wurde sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Um einem möglichen Vereinsverbot zuvorzukommen und die Kontrolle über den Nachwuchs zu stärken, hat die AfD deren Auflösung und Eingliederung in die Mutterpartei beschlossen.
Hier gilt es abzuwarten, ob es zur Mäßigung der Jugend oder zur weiteren Radikalisierung kommt. Letzteres möchte die Mutterpartei nicht nur wegen der Gerichte tunlichst vermeiden. Im nächsten Jahr sind mehrere Landtagswahlen, die AfD kommt nun auch in den westdeutschen Bundesländern auf satte zweistellige Ergebnisse und dort will man sich diesen Effekt nicht durch ständige Pöbeleien und Hetz-Zitate gefährden.
Jusos: Kritische Haltung zum Koalitionsvertrag
Die Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD zeigen sich kritisch gegenüber der Parteiführung. Insbesondere der Koalitionsvertrag steht in der Kritik, da viele Jusos befürchten, dass zentrale sozialdemokratische Positionen verwässert werden. Die Jusos fordern eine stärkere Berücksichtigung sozialer Gerechtigkeit und droht mit der Ablehnung des Koalitionsvertrages.
Berliner Jusos: Debatte um den Begriff „Islamismus“
Auch kontrovers ist die Entscheidung der Berliner Jusos, den Begriff „Islamismus“ nicht mehr zu verwenden. Stattdessen soll von „religiös begründetem Extremismus“ gesprochen werden, um eine Stigmatisierung des Islams zu vermeiden.
Fernab von jeglicher Realität ist diese Entscheidung. Elfenbeinturm-Mentalität. Es ist Fluch und Segen zugleich, dass in diesen Organisationen wie in einem Inkubator Ideen entwickelt werden, die eine beschränkte Wirkmacht haben. Deren Konsequenzen man nicht bedenken muss.
Staat und Gesellschaft müssen den Islamismus konsequent bekämpfen. Es darf hier keinerlei Toleranz geben. Cem Özdemir, Bundesforschungsminister
Junge Union: Konservative Basis rebelliert gegen Koalitionskurs
Und Auch innerhalb der Jungen Union regt sich Widerstand gegen den aktuellen Koalitionsvertrag. Oliver Häusler, Vorsitzender der JU Filder, sorgte bereits im April 2024 für Aufsehen, als er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Abschiebungen ins Grundsatzprogramm“ trug. Häusler sammelte über 800 Unterschriften für eine Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag, um die Basis stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Fazit
Jugendorganisationen haben eine doppelte Rolle: Sie fungieren sowohl als Spiegel gesellschaftlicher Strömungen als auch als Katalysator für innerparteiliche Veränderungen. Ob durch die Abspaltung der Grünen Jugend, die Auflösung der Jungen Alternative oder die kritischen Positionen der Jusos und der Jungen Union – der politische Nachwuchs zeigt sich zunehmend selbstbewusst und bereit, etablierte Parteistrukturen herauszufordern.
Diese Tendenzen können einerseits als Ausdruck lebendiger demokratischer Diskurse gewertet werden, andererseits bergen sie das Risiko, durch überzogene Forderungen oder radikale Positionen die Mutterparteien unter Druck zu setzen oder gar zu spalten. Die Balance zwischen konstruktiver Kritik und parteischädigendem Verhalten bleibt dabei eine zentrale Herausforderung.
Letztlich zeigen diese Entwicklungen, dass Jugendorganisationen nicht nur als Nachwuchsschmieden fungieren, sondern auch maßgeblich die politische Agenda und Ausrichtung ihrer Parteien beeinflussen können. Ein bewusster und reflektierter Umgang mit dieser Verantwortung ist daher unerlässlich.
Auch wenn im Wahlkampf viel über das Thema Migration und Sicherheit gesprochen wurde, führte die Suche nach Themen im Koalitionsvertrag zu einem besonderen Thema: der Rente. In Zeiten des demografischen Wandels, ich nenne es ja gerne auch demografischen Unheil, wachsender Altersarmut und einer zunehmend belasteten jungen Generation ist die Frage nach der Zukunft der Altersvorsorge drängender denn je. Doch der neue Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enttäuscht in diesem zentralen Punkt völlig.
Warum die Rente so wichtig ist – und warum die Zukunft ungewiss bleibt
Die gesetzliche Rente ist das Rückgrat der sozialen Sicherheit in Deutschland. Doch mit einer alternden Bevölkerung, sinkenden Geburtenraten und einer wachsenden Zahl von Rentnern steht das System unter Druck. Zudem steigt durch medizinischen Fortschritt die Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer stetig. Alleine fast 10 Jahre in den letzten 30 Jahren .Laut dem Mercer CFA Institute Global Pension Index 2024 liegt Deutschland im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld, insbesondere aufgrund mangelnder Nachhaltigkeit des Rentensystems.
„Die Rente bleibt stabil“ – aber wie?
Im Koalitionsvertrag wird das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent garantiert. Doch wie diese Stabilität finanziert werden soll, bleibt unklar. Ein Finanzierungsvorbehalt für alle Maßnahmen wird betont, was die Umsetzung generell fraglich macht. Statt konkreter Pläne werden Kommissionen gegründet – ein Zeichen fehlenden Mutes zur echten Veränderung. Man verschiebt die Probleme in die Zukunft und macht damit die ohnehin nötigen Veränderungen gravierender.
Die Rente ist sicher. Norbert Blüm
Frühstart-Rente
Die Einführung einer „Frühstart-Rente“ ab 2026, bei der für jedes Kind in Ausbildung zwischen 6 und 18 Jahren monatlich 10 Euro in ein kapitalgedecktes Vorsorgedepot fließen sollen, klingt gut. Doch angesichts der Herausforderungen des Rentensystems wirkt diese Maßnahme wie Symbolpolitik ohne echten Effekt. Das liegt vor allem an den gravierenden bewussten Rechenfehlern. Wenn die Kinder ihre 10 Euro pro Monat bekommen und dann die Renditeerwartungen eintreffen, kommt man auf einen Betrag von 36.000 €. Das klingt irgendwie schön und erstmal nach einer Menge Geld. Was komplett ignoriert wird ist dabei die Inflation oder auch Kaufkraftverlust. Zu Deutsch: man hat zwar den Betrag von 36.000€ in der Tasche, dieser ist aber etwa das Wert, was heute 5.000€ sind. Und was soll man mit diesen 5.000 € machen? Bei 18 Jahren Rentenbezug reden wir hier von 23 € mehr im Monat!
Aktivrente: Einseitige Entlastung ohne Systemwirkung
Die geplante „Aktivrente“, bei der Rentner bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können, soll Anreize für längeres Arbeiten schaffen. Das ist eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel. Schon jetzt ist es in der Wirtschaft von Nöten, dass man mit Arbeitgebern, deren Rentenzeit bevorsteht spricht. Ob die Arbeitskraft/Expertise dann in Altersteilzeit oder in geringfügiger Beschäftigung erhalten bleibt. Nur auch das ist nicht in unendlichem Maße möglich. Irgendwann hat es jeder in dem Alter auch verdient, seinen Lebensabend ohne Arbeit zu genießen.
Lösungsansätze: Dynamisches Renteneintrittsalter?
Die paneuropäische Partei Volt Deutschland schlägt ein dynamisches Renteneintrittsalter vor, das sich an der durchschnittlichen Lebenserwartung orientiert. Solche Ansätze können helfen, das Rentensystem nachhaltiger zu gestalten. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge resümierte:
Für diesen Vorschlag plädieren schon seit Jahren renommierte Wissenschaftler. Auch das Deutsche Institut für Altersvorsorge tritt dafür ein.
Die Politik steht in der Verantwortung, nicht nur populäre Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch notwendige Reformen anzugehen. Vor der Wahl hatte die Union den Mut dazu, solche Forderungen aufzustellen. Ein Linnemann zum Beispiel schlug vor, den Renteneintritt an die Lebenserwartung zu koppeln.
Die aktuelle Koalition scheint jedoch den Mut zu echten Veränderungen zu scheuen.
Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe der Politiker ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.
Walter Scheel, ehemaliger Bundespräsident
Lösungsansatz: Eine Rente für alle
Auch die Idee, eine Rentenkasse für alle einzuführen findet sich bei Volt Deutschland, eine Idee, die mittlerweile auch gesellschaftliche Mehrheiten findet. Insbesondere, da die Höhe der Pensionen für Beamte immer wieder für Diskussionsstoff und Gerechtigkeitsdebatten sorgt.
Fazit: Eine verpasste Chance – besonders für die Jugend
Der Koalitionsvertrag bleibt beim Thema Rente vage, unkonkret und weit hinter den Erwartungen zurück. Für die junge Generation bedeutet dies Unsicherheit und die Aussicht auf ein instabiles Rentensystem. Laut MDR Fragt glauben nur noch 8% der jungen Menschen an das Blüm’sche Versprechen. Gleichzeitig werden diese die Kosten für die verfehlte Politik tragen müssen, Steigerungen in den Rentenbeiträgen werden nicht ausbleiben.
Ich war ja selbst im Wahlkampf sehr viel unterwegs und es ist unglaublich, wie viele junge Menschen das Thema Rente sehr weit vorne in den Prioritäten sehen. Und diese Wählergruppe verliert die Union und auch die SPD in ihrem Verwaltungsmodus immer weiter aus den Augen. Statt echter Reformen gibt es nur Versprechungen ohne Substanz. Ungeachtet des demografischen Unheils. Mit Volldampf gegen die Wand. Deutschland 2025.
Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen. Konfuzius
Warum der CSD in Bautzen 2024 mehr war als nur eine Parade – und was das für 2025 bedeutet
2024 fand in Bautzen zum zweiten Mal ein Christopher Street Day statt. Organisiert von Jonas Löschau, einem jungen grünen Kommunalpolitiker und Aktivisten, versammelten sich über 1.000 Menschen, um für die Rechte queerer Menschen zu demonstrieren – und gegen Hass, Einschüchterung und rechte Gewalt ein Zeichen zu setzen. Begleitet wurde der CSD von zahlreichen Gegendemonstranten, die dem rechtem Spektrum zuzurechnen sind. Das Ereignis blieb kein lokales Einzelphänomen. Es war ein Auftakt. Eine Probe für etwas Größeres. Und es zeigte deutlich: Der Osten wird zur Bühne eines Kulturkampfes.
Bautzen ist kein einfacher Ort für queeres Leben. Die Stadt hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch rechtsextreme Umtriebe, eine aggressive Jugendkultur und ein politisches Klima Schlagzeilen gemacht, in dem Empathie und Weltoffenheit nicht selbstverständlich sind.
Dass in genau dieser Stadt ein CSD stattfindet, ist bereits ein Statement. Dass er 2024 trotz massiver Bedrohungslage durchgezogen wurde, ist ein Kraftakt. Jonas Löschau und sein Team mussten nicht nur gegen Windmühlen arbeiten – sie stellten sich offen einer Szene entgegen, die keine Skrupel zeigt.
Im Vorfeld wurde bundesweit in rechtsextremen Kanälen zur Mobilisierung aufgerufen. Die Veranstaltung selbst fand unter massivem Polizeischutz statt. Zwei rechtsextreme Gegendemonstrationen wurden angemeldet, über 600 Neonazis marschierten gleichzeitig durch die Stadt.
Doch Bautzen knickte nicht ein.
Die neue Strategie der extremen Rechten
Die CeMAS-Studie „Eine neue Generation von Neonazis“ hat nun bestätigt, was viele vor Ort bereits gespürt haben: Die Angriffe auf queere Events sind Teil eines größeren Plans.
Eine junge, digital vernetzte Szene – radikal, strategisch und kampferprobt – nutzt Plattformen wie Telegram, TikTok und Instagram, um gezielt gegen CSDs zu mobilisieren. Zwischen Juni und September 2024 wurden laut Studie in 27 deutschen Städten gezielt CSD-Veranstaltungen gestört. Der Osten war dabei ein besonderer Schwerpunkt: Bautzen, Zwickau, Leipzig, Freiberg – überall dieselbe Masche.
Es geht dabei nicht um „Zufall“. Es geht um Macht. Die Sichtbarkeit queerer Menschen soll bis zum Verschwinden zurückgedrängt werden. Veranstaltungen wie CSDs sollen aus Angst aufgegeben werden. Es ist eine neue Form des Kulturkampfes, offen geführt – auf der Straße, online, im Parlament.
Was 2025 bevorsteht
Die CSD-Saison 2025 in Ostdeutschland wird wahrlich kein Spaziergang. Sie wird zur Bewährungsprobe für Demokratie, Zusammenhalt und die Fähigkeit von Zivilgesellschaft, sich zu verteidigen. Die Lektionen aus 2024 sind klar:
Der Schutz von Veranstaltungen queerer Menschen braucht klare Sicherheitskonzepte, Exit-Strategien, enge Koordination mit der Polizei – und vor allem: Solidarität durch Präsenz. Es braucht mehr Unterstützer aus anderen Städten, mehr Ordner mit Schulung, mehr juristische Beratung im Vorfeld.
CSDs sind keine kleinen Sommerfeste mehr. Sie sind antifaschistische Notwendigkeit.
Was in Bautzen begann, kann und wird andernorts wieder geschehen. Und nur weil es in kleineren Städten passiert, heißt das nicht, dass es weniger wichtig ist. Was in Meißen und Dessau passiert, betrifft auch Leipzig. Was in Greifswald und Cottbus schiefgeht, geht auch Berlin etwas an.
CSDs waren immer politisch, aber in Zeiten wie diesen sind sie besonders scharf umrissen. Es geht nicht nur um Gleichstellung. Es geht um Sichtbarkeit unter Beschuss. Jeder geschmückte Truck, jede Fahne, jeder Kuss auf der Straße ist ein Statement: Wir lassen uns nicht vertreiben. Wir sind hier. Und wir gehen nicht weg.
Unternehmen im Spannungsfeld
Dazu kommen noch die politischen Entwicklungen in den USA unter Präsident Donald Trump. Diese haben zur Streichung von Diversity-, Equity- und Inclusion-Programmen (DEI) in Unternehmen geführt. Doch die Auswirkungen gehen weit über die Grenzen der Staaten hinaus: Berichten zu folge sollen auch europäische Firmen gedrängt werden, DEI-Programme einzustellen, wenn sie auch weiterhin Regierungsaufträge aus den Staaten bekommen wollen.
Und nun ist es Crunchtime für Unternehmen, denn die Anti-Woke Bewegung hat in den Staaten Erfolge verbuchen können. Allen voran der für sie erfolgreiche Kampf von Robby Starbuck gegen BudLight hat die Landschaft geprägt. Angst schleicht sich ein, denn der Kampfspruch „go woke – go broke“ ist seitdem keine leere Drohung mehr. Während nun also massig Unternehmen(Walmart, Ford, Jack Daniels, Ford, Meta, Microsoft, Google) ihre Programme beendet, wird die Anzahl der attackierten Unternehmen geringer und somit auch die Schwere der Angriffe härter. Übrigens hat auch Aldi jeglichen Verweis auf DEI von den amerikanischen Seiten gelöscht, wird spannend, ob doch das Unternehmen in Deutschland auch weiterhin so zum CSD bekennt wie bisher. Und die letzten verbleibenden Konzerne wie Disney erleiden gerade an den Kinokassen mit Schneewittchen ein finanzielles Desaster.
In diesem Kontext gewinnt die Präsenz von Unternehmen bei den CSDs in Ostdeutschland an Bedeutung. Unternehmen, die sich trotz politischer Gegenwinde für die Rechte der queeren Community einsetzen, demonstrieren nicht nur soziale Verantwortung, sondern stärken auch ihre Bindung zu vielfältigen Kundengruppen und Mitarbeitenden. In Zeiten, in denen aktivistische Störer versuchen, Errungenschaften im Zusammenleben zurückzudrängen, ist das Engagement von Unternehmen ein wichtiger und notwendige Beitrag zur Förderung von Akzeptanz und Toleranz. Vor allem, wenn es Gegenwind gibt.
Fazit: Es wird politisch – und laut
Die CeMAS-Studie hat den Vorhang gelüftet. Was in Bautzen begann, war geplant – und es wird weitergehen. Aber das heißt nicht, dass wir aufgeben. Im Gegenteil. Die queere Bewegung in Ostdeutschland ist stark, sie ist sichtbar, und sie ist nicht allein. 2025 wird ein Jahr der Klarheit: Welche Gesellschaft wollen wir sein? Wer hat das Recht, öffentlich zu lieben, zu leben, zu feiern – und wer will dieses Recht nehmen?
Leipzig, einst bekannt für seinen erschwinglichen Wohnraum und seine lebendige Kulturszene, steht heute vor einer düsteren Realität: Die Wohnungsnot hat die Stadt fest im Griff, und die Hoffnung auf Besserung schwindet zusehends. Einen neuen negativen Höhepunkt stellt eine in dieser Woche veröffentlichte WG-Anzeige dar, die das ganze Ausmaß der Entwicklungen illustriert.
265 Euro werden für 7 Quadratmeter WG-Zimmer in Lindenau verlangt. Kalt wohlgemerkt. Dafür gibt es einen kombinierten Küche-/Dusche-/Toilettenbereich, den sich insgesamt 14 Bewohner auf der Etage teilen sollen. Für eine Zelle in deutschen Gefängnissen sind übrigens 9 Quadratmeter vorgesehen, mit eigener Toilette, nur zum Vergleich.
Ein Grund für die Entwicklung ist der anhaltende Zuzugsboom. Die Urbanisierung, also die Landflucht zu Gunsten der Städte ist in vollem Gange und so stieg die Einwohnerzahl in den letzten Jahren um 100.000 Menschen an. Dieses Wachstum ist hauptsächlich auf Zuzüge zurückzuführen, da die Zahl der Geburten meist deutlich unter der Zahl der Sterbefälle liegt.
Mietentwicklung in Leipzig
Und all die zugezogenen wollen natürlich irgendwo wohnen. Am liebsten Innenstadtnah. Dies führt zwangsläufig zu einem Kampf um den Wohnraum, welcher nicht im gleichen Maße zur Verfügung gestellt werden kann. Die Mietpreise in Leipzig erreichen somit im Jahrestakt neue Rekorde. Aktuell liegen die durchschnittlichen Mietpreise für Wohnungen bei etwa 11,35 € pro Quadratmeter. Noch weit weg von den über 30€ pro Quadratmeter in der Höllen-WG, aber doch schon ein nicht mehr für jeden leistbares Preisniveau. Alleine in den letzten 3 Jahren stiegen die Mieten um 18 Prozent, in 5 Jahren um 35 Prozent.
Vor allem Stadtteile wie Plagwitz, Schleußig oder Gohlis erleben dabei größere Sprünge in den Preisen als der „Speckgürtel“. Die soziale Durchmischung, die Leipzig einst auszeichnete, weicht einer schmerzhaften Realität: Wohnen wird zum Luxusgut. Das Schlagwort Gentrifizierung, also die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus dem inneren Stadtbereich, schlägt dabei voll zu. Entmietung und Eigenbedarf werden zu Wörtern, die für Mieter meist eines von zwei Optionen bedeuten: Umzug in eine teurere oder kleinere Wohnung.
Diskussion um Mietspiegel in Leipzig
Der Mietspiegel, einst ein Instrument zur Transparenz und Fairness, muss zunehmend infrage gestellt werden. Die aktuellen Zahlen scheinen die Realität nicht mehr abzubilden. Mieterhöhungen und Kündigungen wegen Eigenbedarf werden zur Regel. Das Vertrauen in dieses Instrument schwindet, und viele fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Die Stadt Leipzig erarbeitet derzeit einen neuen Mietspiegel, der ab Sommer 2025 den bis dahin geltenden aus dem Jahr 2022 ablösen soll.
Bilanz Zweckentfremdungsverbot in Leipzig
Der behördlich festgestellte Wohnraummangel erlaubte Leipzig 2024 ein neues Instrument, um die Entwicklung zu entschleunigen: das Zweckentfremdungsverbot. Damit soll zum einen die so genannte Kurzzeitvermietung, vor allem durch AirBnB verhindert werden. Die Bilanz ist bisher eher ernüchternd: 1149 (Stadträte sprachen von mehr als 2000 Zweckentfremdungen) Ferienwohnungen wurden bisher gemeldet. Auch der spekalutive Leerstand ist mit bisher 54 gemeldeten(hier war der Zensus 2022 bei 9875) Wohnungen nicht vollends bekämpft.
Ausnahme für (teil-)möblierte Wohnungen von der Mietpreisbremse
Ein weiterer Schlag für Wohnungssuchende ist die Ausnahme von (teil-)möblierten Wohnungen von der Mietpreisbremse. Diese Regelung öffnet Tür und Tor für Umgehungsstrategien, bei denen Vermieter durch minimale Möblierung exorbitante Preise verlangen können. Alleine die schiere Explosion der Anzahl an Wohnungsangeboten, die als möbliert angeboten werden, zeigt, dass die Vermieter dieses Schlupfloch nur allzu gerne nutzen. So auch unsere Horror-WG vom Anfang. Doch nur weil es die Möglichkeit gibt, ist dieses nicht immer zulässig. Erlaubt wäre ein Abschreibung des Anschaffungswertes über ein paar Jahre. Der Deutsche Mieterbund fordert daher die verpflichtende Ausweisung des Möblierungszuschlags im Mietvertrag. Auch Volt Leipzig fordert die transparente Aufstellung der Anschaffungskosten der Möbel, um unberechtigtem Wucher entgegen zu wirken.
Mehr bauen?
Die einfachste Lösung des Problems wäre es natürlich, mehr Wohnungen zu bauen. Und es wird auch gebaut, sowohl von den städtischen Firmen als auch von kommerziellen Anbietern. Nur halt wenig im Bereich Sozialwohnungen. Natürlich stellen die gestiegenen Baukosten ein Problem dar. Wenn Objektentwickler davon reden, dass Neubauten nicht unter 12 Euro Miete bereitgestellt werden können, hat man ein Problem. Und auch Sanierungen bedeuten meist eine deutliche Mietsteigerung, die über dem Niveau liegen, was sozial leistbar ist.
Bei den Objektentwicklern geht der Trend in Leipzig aber ohnehin dahin, Wohnungen in Qualitäten zu schaffen, die ein Mietniveau rechtfertigt, dass für viele Leipziger kaum mehr erschwinglich ist. 18,50 Euro kalt am neugebauten Lindenauer Hafen zum Beispiel. Um genau das zu verhindern hat Leipzig Milieuschutzgebiete ausgewiesen. Man will Luxussanierungen verhindern. Schafft man auch, aber eben nur dort. In gewisser Weise macht man die ausgewiesenen Gebiete dadurch uninteressant für Eigentümer und Investoren.
Und so kommt es wie es kommen muss, umso mehr man schützt, desto mehr werden die ungeschützten Stadtteile auf Hochglanz saniert und mit Prunkneubauten zu gepflastert. Und ja das ließt sich gut, bringt aber immer mehr junge Familien und Singles in Leipzig in Bedrängnis. Diese fliehen ins Umland, was aber auch in den letzten Jahren beständig die Preise erhöht hat, aber immer noch unter den Leipziger Preise liegt.
Oder und das ist das für mich Kuriose, die akzeptieren ebenjene Preise, einfach nur, weil sie froh sind, überhaupt etwas in der Preisklasse zu bekommen. Denn der Skandal an der Höllen-WG ist nicht nur, dass es solche Angebote gibt, sondern dass 5 Wohneinheiten schon vermietet waren.
In Deutschland sorgt aktuell die Debatte um neue Sondervermögen für Aufruhr. Die besondere Herausforderung besteht darin, vor dem Amtsantritt der neuen Regierung eine einvernehmliche Lösung zu finden, die sowohl finanzpolitisch tragfähig als auch gesellschaftlich akzeptiert ist. Denn im neuen Bundestag erreichen die kriegskritischen Parteien Linke und AfD gemeinsam eine Größe, welche die notwendige Zweidrittelmehrheit unmöglich macht.
Und so musste nun Merz nach der Wahl eine 180°-Wende vollziehen, wenn es darum geht, neue Schulden zu machen. Und zudem ist er auf die Hilfe der Grünen angewiesen. Und es muss wie schon geschrieben alles sehr sehr schnell gehen.
Und da wird geklotzt und nicht gekleckert. 900 Millionen soll es insgesamt geben. Zum Vergleich: laut statistischem Bundesamt hat Deutschland gerade knapp 2,5 Billionen Euro Schulden. 1,7 Billionen davon liegen beim Bund. Kommen die Pakete also durch, würde sich die Verschuldung auf einen Schlag um knapp 50 Prozent erhöhen. Die Schuldenquote, die als Prozentzahl im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt berechnet, würde von europäisch eher geringen 60 Prozent auf 90 Prozent hochschießen. Damit wäre man ziemlich genau im aktuellen EU-Schnitt, der dadurch aber eben auch steigen würde.
Und was soll damit eigentlich angestellt werden? 400 Milliarden sollen in die Landesverteidigung fließen. Das ist auch notwendig, da Trump sich als unzuverlässiger Partner herausstellt und Europa sich nun selbst um seine Verteidigung kümmern muss.
Das andere Paket mit 500 Milliarden soll für Infrastruktur sein. Was man alles darunter verstehen kann, ist schon erstaunlich. Herzensprojekte der CSU wie die Mütterrente zum Beispiel. Auch Steuersenkungen sollen mit neuen diesen Schulden gegenfinanziert werden. Spielkasse für Wahlgeschenke nannte dieses die grüne Katharina Binz.
Es ist also plötzlich Geld in Unmengen da und man benötigt die Zustimmung der Grünen. Naheliegend, dass man versucht, ebenjene mit einem Teil dieses Geldes für grüne Themen zur Zustimmung zu bewegen. Schon im Bundestag bot Merz locker fluffig 50 Milliarden für Klimainvestitionen an. Nach intensiven Verhandlungen konnte dieser Wert sogar auf 100 Milliarden gesteigert werden und mit dem Begriff Zusätzlichkeit verziert werden.
Nun ist also der Weg bereitet, um das Paket durch den Bundestag zu bekommen. Auch die Klagen der AfD und der Linken beim Bundesverfassungsgericht liefen ins Leere. Bleibt noch das Problem, dass dieses Vorhaben auch durch den Bundesrat kommen muss. Da ist man wohl auf die Stimmen aus Bayern angewiesen, wo Hubert Aiwanger von den Freien Wählern schon seine Ablehnung signalisierte. Und nun muss man sich wohl auch diese Zustimmung erkaufen.
Was das wieder beinhalten und kosten wird ist aktuell nicht absehbar. Die Frage bleibt: Wie viel von dem Geld landet wirklich dort, wo es benötigt wird? In den Schulen, Kitas, Straßen, Schienen und Stromnetze. Und bleibt da auch am Ende etwas übrig für den sozialen Wohnungsbau?
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